dlina-Hackathon, Potsdam, November/Dezember 2016

›Digitale‹ und ›traditonelle Literaturwissenschaft‹

• Differente Praktiken, doch gemeinsame Gegenstände?

• Allerdings: Forschungsbemühungen richten sich weniger auf ›natürliche Objekte‹, sondern vielmehr auf ›epistemische Dinge‹ (Rheinberger 1992 u. ö.; Martus 2015);

• ›epistemische Dinge‹ aber sind gekoppelt an einen »spezifischen Repräsentationsraum« (Hagner et al. 1994: 8); sie sind eingebettet in einen Zusammenhang aus Praktiken und technischen Dingen.

›Digitale‹ und ›traditonelle Literaturwissenschaft‹

›Drama‹ als epistemisches Ding der Literaturwissenschaft, z. B.:

• ein ästhetisches Artefakt, ein soziales Artefakt etc.;
• vorliegend in einer vertrauenswürdigen Edition;
• umstellt von technischen Dingen wie Bibliotheken, Bibliographien, Standards und Konventionen der Edition, etablierten Forschungspositionen, Theorie- und Methodentraditionen usw.

›Digitale‹ und ›traditonelle Literaturwissenschaft‹

›Drama‹ als epistemisches Ding in unserer Arbeitsgruppe:

• eine nach spezifischen Anforderungen geformte und mit spezifischen Metadaten versehen Datei;
• vorliegend in einer Datenbank oder vorgehalten im Zwischenspeicher eines Programms;
• umstellt von technischen Dingen wie Repositorien, Datenbanksystemen, Codierungsstandards, Vokabular und Syntax von Programmier- und Abfragesprachen usw.

›Digitale‹ und ›traditonelle Literaturwissenschaft‹

• Differente Praktiken und differente epistemische Dinge?
• Doch Hoffnung auf eine ähnliche ›Fragwürdigkeit‹ der epistemischen Dinge, begründet in deren »autopoietischen Aspekt« (Martus 2015: 28), …
• … und damit die Hoffnung auf die Möglichkeit, ›neue Antworten‹ auf ›alte Fragen‹ zu finden?
• Dies auch als Erwartungshaltung gegenüber der ›digitalen Literaturwissenschaft‹ – »legitimatorische[r] Aspekt« (Martus 2015: 25).

Das epistemische Ding der dlina-Arbeitsgruppe

• Dramentext?
  • Eher nicht.
• Spezifisch codierte TEI-Datei des Dramentextes?
  • Auch nicht so recht.
• Das Zwischenformat?

Was heißt ›Netzwerkanalyse dramatischer Texte‹?

• Netzwerke = Elemente (Knoten) und deren Relationen (Kanten);
• Dramen-Netzwerke (in unserem Fall) = Figuren (Knoten) und deren Interaktion (Kanten);
• Interaktion (in unserem Fall) = zwei Figuren vollziehen innerhalb desselben Dramensegments (in der Regel: innerhalb einer Szene) jeweils mindestens einen Sprechakt.

Das Zwischenformat

• eine abstrakte und manipulierte Modellierung von Dramentexten
• enthält Metadaten
• enthält netzwerkbasierte Strukturinformationen

Das Zwischenformat:
Ein exemplarischer Auszug

Das epistemische Ding der
dlina-Arbeitsgruppe

• Dramentext?
  • Eher nicht.
• Spezifisch codierte TEI-Datei des Dramentextes?
  • Auch nicht so recht.
• Das Zwischenformat?
  • Noch nicht präzise genug.

Netzwerkgraph und -daten zu Lessing: Emilia Galotti (1772)

Vgl. auch »Distant-Reading Showcase«: Superposter mit den Netzwerkgraphen zu 465 deutschsprachigen Dramen. – DOI: 10.6084/m9.figshare.3101203.v1.

Das epistemische Ding der
dlina-Arbeitsgruppe

• Dramentext?
  • Eher nicht.
• Spezifisch codierte TEI-Datei des Dramentextes?
  • Auch nicht so recht.
• Das Zwischenformat?
  • Noch nicht präzise genug.
• Ein Korpus, bestehend aus Zwischenformaten.

Dramengeschichte

Average Degree der Dramennetzwerke im dlina-Korpus (N = 465), Mittelwert pro Dekade

Dramengeschichte

• Neue Antwort auf die Frage nach dem Verlauf der Dramengeschichte, nach ihrem Zusammenspiel mit der sozialen Modernisierung?

  • Nein, dass das Drama ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Modernisierungseffekte durchspielt, ist bekannt.
  • Ja, dass sich diese Effekte sehr präzise in der Zunahme der individuellen Figureninteraktionen niederschlagen, war nicht bekannt.
  • Ja, dies ist eine neue Antwort, aber nein, das ist keine Antwort, die man üblicherweise auf eine literaturwissenschaftliche Frage gibt.

Small Worlds

Reguläres Netzwerk	Small World	Random-Netzwerk

Relationale Definition des Netzwerktyps ›Small World‹

Small Worlds

Charakteristika von Small-World-Netzwerken:
Cliquen (links), zentrale Figur(en) (rechts)

Netzwerkgraph zu Goethe: Götz von Berlichingen (1773)

Small Worlds

17 Dramen (grüne Rauten) im dlina-Korpus erfüllen die Small-World-Kriterien

Small Worlds

Goethe, Götz (1773) Drama des ›großen Individuums‹	Mühsam, Judas (1921) Drama der Masse
Aristokratisches Modell?	Kommunistisches Modell?

Zwei entgegengesetzte Dramen-Netzwerktypen

Schluss

• Fragwürdigkeit resultiert wesentlich …
  • aus den technischen Dingen;
  • aus der Korpusartigkeit des epistemischen Dings.
    
    
• Beides ist Effekt der Digitalität:
  • Digitalität der Methoden
  • Digitalität der ›Gegenstände‹

Schluss

›Digitale‹ und ›traditionelle Literaturwissenschaft‹?

• Inwiefern spielt es eigentlich für die ›traditionelle Literaturwissenschaft‹ eine Rolle, dass auch ihre Gegenstände immer häufiger digital vorliegen?
• Inwiefern spielt es eine Rolle, dass der ›traditionellen Literaturwissenschaft‹ zahlreiche Methoden der digitalen Analyse prinzipiell zu Verfügung stehen – Methoden, die bei der Repräsentation und Analyse der faktualen Kommunikation heute bereits einen erheblichen Raum einnehmen?

Schluss

›Digitale‹ und ›traditionelle Literaturwissenschaft‹?

• Polarisierung ist Unsinn.
• Als gäbe es eine ›traditionelle Literaturwissenschaft‹
• Es gibt viele Literaturwissenschaften. –
  
  
• Und einige davon weisen erhebliche Überschneidungen mit der ›digitalen Literaturwissenschaft‹ auf.

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